Hintergrund
Angesichts zunehmender Risiken, die sich aus stark gestiegenen Energiepreisen und Rohstoffpreisen, kombiniert mit steigenden Zinsen und nachlassender Kundennachfrage derzeit für Unternehmen ergeben können, hat das Risiko für Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Vergleich zu den Vorjahren wesentlich zugenommen. Bisher ist dies an der historischen Entwicklung der Anzahl von Insolvenzen noch nicht abzulesen. Die Creditreform berichtet, dass “trotz des Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft [… ] die Zahl der Unternehmensinsolvenzen zunächst auf einem niedrigen Niveau [verbleibt]. Im 1. Halbjahr 2022 wurden 7.300 Unternehmensinsolvenzen registriert. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2021: 7.510 Unternehmensinsolvenzen) sind die Fallzahlen wieder leicht zurückgegangen.” Dennoch befürchtet die Creditreform durch die verschlechterten konjunkturellen Rahmenbedingungen verursacht durch den Krieg in Osteuropa, den angebotsseitigen Preisauftrieben und der beginnenden Zinswende, dass dies nicht ohne Folgen für die Insolvenzentwicklung bleiben wird. In unserem Beitrag beleuchten wir die Möglichkeiten zur Früherkennung von Insolvenzrisiken eines Unternehmens und nehmen gemeinsam mit unserem Gastautor, Prof. Dr. rer. nat. Alexander Förster, Stellung zu ausgewählten Handlungsoptionen, die einem Unternehmen bei rechtzeitig erkannten Insolvenzrisiken bleiben, um das Unternehmen durch unruhige Fahrwasser sicher zu steuern.Thomas Wirtz ist Steuerberater, Diplom-Kaufmann und Inhaber von schütze & wirtz Steuerberater I Tax Consultants seit 2019. Zuvor arbeitete über 18 Jahre als Unternehmensberater (zuletzt als Partner / Director) mit Stationen in Indonesien, Australien und Indonesien. Thomas Wirtz interessiert sich besonders für die steuerliche und finanzielle Beratung von Unternehmen und Privatpersonen, sowie die Digitalisierung von Buchhaltungsprozessen.
Früherkennung von Insolvenzrisiken
Unternehmen sind mit einer sich ständig erweiternden Komplexität und einer zunehmenden Dynamik in ihrem unternehmerischen Umfeld konfrontiert und müssen schneller und effektiver auf neu eintretende Begebenheiten reagieren. Eine Krise zu überstehen bedeutet im Optimalfall durch rechtzeitig eintretende Handlungsschritte eine Krisensituation so weit zu vermeiden, dass diese keine oder kaum negative Einflüsse mehr haben kann. Auch aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht leitet sich ab, dass Geschäftsführer die wirtschaftliche Lage ihrer Gesellschaft fortlaufend zu überwachen haben, dies gilt insbesondere in Krisenzeiten. Geschäftsführer, die ihre Obliegenheiten verletzen, haften für den entstandenen Schaden. Voraussetzung für ein effektives System der Früheinschätzung einer Insolvenz ist das Bestehen eines Risikomanagements. Dessen Aufgabe ist es, kritische Warnsignale im Unternehmen rechtzeitig zu erkennen und mit geeigneten Maßnahmen entgegenzusteuern, um diese zu vermeiden oder die Risiken zumindest zu minimieren. Ausgewählte Warnisignale für eine Unternehmenskrise können beispielsweise die Folgenden sein:- Unterlastung des Personals
- Geringe Digitalisierungskompetenz
- Lieferstockungen (gestörte Lieferketten)
- Hohe Abhängigkeiten von wenigen Lieferanten und Kunden
- Aufbau von Beständen
- Rückgang der Kapazitätsauslastung
- Verluste
- Ausgeschöpfte Kreditlinien
- Kürzung der Limite durch die Warenkreditversicherer
- Zahlungsstockungen
- Produkte am Ende des Produktlebenszyklus
- Sinkende Marktanteile
- Kontinuierlicher Margenverlust
- Traditionelle Bilanzanalyse (Vermögensentwicklung) – die Bilanzanalyse betrachtet die historische Entwicklung von (Kenn-)Zahlen wie bspw. das sog. Debt to Equity Ratio, Banksalden. Größte Kritikpunkte der traditionellen Bilanzanalyse sind die Vergangenheits- und Stichtagsbetrachtung. Daher sollten weitere Verfahren zur Früherkennung von Insolvenzrisiken angwendet werden, die insbesondere die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens modellieren.
- Betrachtung der Ergebnisentwicklung (Wirtschaftliche Entwicklung) – die Betrachtung der historischen und voraussichtlichen Ergebnisentwicklung zeigt, ob das Unternehmen in der Lage ist und sein wird nachhaltig Gewinne zu erzielen. Für Unternehmen, die nicht in der Lage sind ausreichend Gewinn zu erzielen, erhöht sich das Insolvenzrisiko deutlich.
- Erstellung eines Business Plans: Die Erstellung eines integrierten Business Plans und dessen regelmässige, unterjährige Aktualisierung und ein Vergleich mit der tatsächlichen Geschäftsentwicklung ist u. E. eine besonders geeignete Methode, um Insolvenzrisiken rechtzeitig zu identifizieren. Wichtig bei der Erstellung eines Business Plans ist, dass er eine Liquiditätsplanung (Cash Flow), sowie eine Bilanz- und Gewinn- und Verlustrechung enthält. Dabei sollten – wenn möglich – auch sog. Szenario- oder Sensitivitätsanalysen angewendet werden.
- Mathematisch-statistische Verfahren – in der Praxis setzen sich zunehmend mathematisch-statistische Verfahren (.z. B. multivariate Diskriminanzanalyse) durch, um Insolvenzrisiken frühzeitig zu erkennen.
Handlungsoptionen
Strukturelle Maßnahmen zur Insolvenzvermeidung
Prof. Dr. Alexander Förster lehrt seit 2017 Wirtschaftsinformatik im Fachbereich Wirtschaft an der FH Bielefeld. Zuvor war er als Leiter Unternehmensstrategie bei Wolters Kluwer in Köln verantwortlich für die Digitale Transformation und als Strategieberater bei der Droege International Group AG tätig.
Wird eine drohende Insolvenz in der Frühphase erkannt, erweitern sich die Handlungsoptionen deutlich. Während bei einer spät erkannten Insolvenz oft nur noch drastische Maßnahmen (siehe weiter unten) wirken, können in der Frühphase noch eher strategische und langfristig wirksame Maßnahmen eingeleitet werden, die eher den Charakter von grundlegenden Optimierungsmaßnahmen haben. Im Folgenden gehen wir auf drei Maßnahmen im Detail ein:
- Der Klassiker unter den Handlungsoptionen ist die personelle Restrukturierung mit dem Ziel, die Personalkosten zu senken. Der Personalbedarf eines Unternehmens ergibt sich aus den durchzuführenden Tätigkeiten und Geschäftsprozessen und den dafür notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen. Einer fundiert hergeleiteten Restrukturierungsmaßnahme sollte daher immer eine Prozessanalyse vorangehen. Ein probates Vorgehen ist, zunächst eine Matrix der zur leistenden Tätigkeiten zu erstellen und dann die bestehenden Mitarbeiter in einer Abfrage ihren individuellen Beitrag zu den Prozessen angeben zu lassen. Für die Abfrage eigenen sich bei größeren Organisationseinheiten entsprechende IT-basierte Tools. Basierend auf der daraus resultierenden Analyse können Sollkapazitäten für einzelne Prozesse bestimmt werden und dann freie Kapazitäten für die Restrukturierung ermittelt werden. Bei der Prozess- und Kapazitätsanalyse unterstützen typischerweise erfahrene externe Berater, um einen neutralen Blick auf das Unternehmen und die involvierten Personen zu behalten und das Vorgehen optimal zu steuern.
- Eine weitere Option, die auch langfristig zum Unternehmenserfolg beiträgt, ist die Optimierung der Geschäftsprozesse selbst, insbesondere im Licht der Möglichkeiten der Digitalisierung. In vielen Unternehmen finden sich Prozesse, die hochgradig repetitiv sind und automatisiert werden könnten. Ein Beispiel wäre ein Controller, der jeden Monat eine Woche damit verbringt, Daten von einem System in ein anderes zu transferieren und immer wieder die gleichen Anpassungen und Abgrenzungen zu machen. Obwohl vielleicht in Teilen bekannt ist, wie ineffizient dieses Vorgehen ist, und es die beteiligten Personen frustriert, gibt es oft nicht die Zeit, eine sinnvolle Prozessoptimierung durch ein digitales Tool zu bewerkstelligen. Auch hier können Berater mit einer Kombination aus Business- und IT-Know-How einen wertvollen Beitrag leisten: Ein automatisiertes IT-Tool kann einmal erstellt werden und auf Dauer signifikant Personalkapazität für andere Tätigkeiten freimachen.
- Schließlich ist es möglich, die Kosten- und Cashsituation relativ kurzfristig mit einem Einkaufs-Optimierungsprojekt zu verbessern. Auch langfristig etablierte, effizient arbeitende Einkaufsabteilungen heben oft nicht das volle Potenzial an Einsparungen, die im Beschaffungsbereich möglich sind. Dies liegt häufig an festgefahrenen Strukturen sowie fehlender Zeit und Möglichkeiten für eine umfassende Optimierung. Die erste Phase eines Einkaufs-Optimierungsprojekts bildet immer eine umfassende Datenanalyse sowie die Strukturierung aller beschaffter Güter und Dienstleistungen in Material- und Produktgruppen. Abhängig von Einkaufvolumina, Abhängigkeitsverhältnissen und weiteren Parametern werden für jede Material- oder Produktgruppe individuelle Einkaufsstrategien erarbeitet. Mögliche Strategien sind z. B. Volumenbündelung, Rahmenverträge, gemeinsames Wachstum, Aufwandsreduktion etc. Basierend auf der Materialgruppenstrategie werden dann alle wichtigen Lieferbeziehungen nachverhandelt. Typische Einsparungpotenziale liegen bei umfassender Durchführung eines solchen Projekts bei >10%.
Ausgewählte Kurzfristige Steuerliche und finanzielle Handlungsoptionen
In der Praxis werden drohende Insolvenzen oft spät erkannt. Deshalb sind dann eher kurzfristige steuerliche und finanzielle Handlungsoptionen erforderlich, die im Folgenden exemplarisch aufgelistet sind:-
- Reduzierung der Steuervorauszahlungen
- Stundung von Steuerzahlungen (Ausnahme: Umsatzsteuer wird i.d.R. nicht vom Finanzamt gestundet)
- Steuerliche Optimierung der Steuerbilanz (z. B. Sonder-Afa)
- Verlängerte Zahlungsziele bei Lieferanten, Schuldenerlass, Stundung
- Kapitalerhöhung, (Staatliche) Bürgschaften
- Sell-and-Lease-Back
- Einführung von Factoring
- Einkaufs- und Lieferantenoptimierung
- Optimierung von Betriebsmitteln (Working Capital), Kapitalstruktur und Anlage- und Finanzvermögen
- Steuerliche Optimierung
- Verhandlungen mit Banken und/oder Eigenkapitalgebern